Als die Utopie die Zukunft entdeckte
Ursachen und Folgen eines Paradigmenwechsels – eine literarische Spurensuche
Der Begriff „Utopie“ ist gegenwärtig fast zu einem Synonym für Zukunftsvision geworden. Die Rede von Utopie transportiert unweigerlich Bilder aus dem Kontext technologischer Veränderungspraxis: Künstliche Intelligenz, Big Data, Transhumanismus, Enhancement, Virtual Reality. Mancherorts gilt – angesichts einer weitgehenden Kraftlosigkeit neuer Sozialutopien – die Idee von grenzenloser Intelligenz und ewiger Schönheit schon als letzte große Utopieperspektive des 21. Jahrhunderts.
In Literatur und Film ist die technische Euphorie dagegen weit weniger ausgeprägt. Dort dominiert nach wie vor die düstere Spielart der Utopie, dystopische Szenarien, die mithilfe einer Extrapolation bedrohlicher Gesellschaftstendenzen und in abschreckenden Bildern vor einem „Weiter so“ warnen, etwa in der Gestalt einer Gesundheitsdiktatur (Juli Zehs Corpus Delicti, 2009), einer banal-brutalen Unterhaltungskultur (Suzanne Collins’ The Hunger Games, 2008–2010) oder der Herrschaft eines digitalen Monopolkonzerns (Dave Eggers’ The Circle, 2013). Eines aber ist unbestritten: Das Thema der Utopie ist die Zukunft.