Wenn Religion und Gesetz verschmelzen
“Als die Welt auseinanderbrach, das sowjetische Imperium implodierte und eine Welle von Transformationsprozessen durch Europas Osten, Asien, Lateinamerika und selbst das subsaharische Afrika rollte, wurden mit den moribunden diktatorischen Regimen auch alte Gewissheiten hinweggefegt. Das kurze 20. Jahrhundert fand sein abruptes Ende. Als intellektuelle Begleitmusik gingen zwei Essays um die Welt, die in der neuen Unübersichtlichkeit neue Gewissheit versprachen. Versprachen? Nein, sie prophezeiten!
Francis Fukuyama schrieb 1992 vom „Ende der Geschichte“. In einer ebenso kühnen wie rabulistischen Vereinfachung der Hegel‘schen Geschichtsphilosohie erklärte er den Wettlauf der Systeme für beendet. Liberaler Kapitalismus und liberale Demokratie hätten Planwirtschaft und diktatorische Herrschaft endgültig besiegt. Die Geschichte sei in ihrem höchsten Stadium nunmehr zu sich selbst gekommen…
Ein Jahr später erschien aus der Feder eines der weltweit namhaftesten Politikwissenschaftler ein weiterer, wahrhaft prophetischer Essay: „The Next Pattern of Conflict“, berühmt geworden als „The Clash of Civilizations“. Sein Kern ist bekannt: Die großen „Bruchlinien der Menschheit“ werden nicht mehr entlang von Nationalstaaten verlaufen. Die „dominierende Konfliktlinie wird kulturell“ sein. Zivilisationen begreift Huntington als die höchste und weiteste Form der kollektiven kulturellen Identität. Sprache, Geschichte, Religion, Tradition, Sitten und die subjektive Selbstzuordnung definieren sie…”
Hungingtons These ist empirisch wie normativ evident, meint Wolfgang Merkel in seinem Artikel.